Non vitae, sed scholae discimus!*)
Lucius Annaeus Seneca
Puhhh!" raunte René seiner Banknachbarin Barbara zu, als ihn der Geografielehrer nach der Prüfung in die Bankreihen zurückschickte. "Wenigstens positiv", dachte er, wenngleich ihm das höchstens eine Drei im Zeugnis einbrachte. Seine Mutter würde zufrieden sein, denn er hatte in den "Lerngegenständen" nur gerade noch ausreichende Leistungen erbracht. Da Prüfungen meist rechtzeitig angekündigt wurden oder es zumindest absehbar war, wann er wieder drankommen würde, war René gewohnt, nur kurzfristig zu lernen. Fast alle Prüfungen liefen so ab: Stoff kurz vor der Prüfung büffeln - Prüfung grade so bestehen - Stoff vergessen.
Dieses "Lernmuster" hatte zur Folge, dass René in den meisten Gegenständen am Ende eines Schuljahres nur mehr eine grobe Erinnerung daran hatte, was er in Geschichte, Geografie oder Biologie gelernt hatte. Wenn er in den Ferien vor einer Pflanze stand, konnte er sich im besten Fall nur mehr daran erinnern, dass er deren Blätter genau bestimmt hatte und sogar die lateinische Bezeichnung einmal gewusst hatte. Wenn er in den Nachrichten den Namen eines kleinen afrikanischen Staates hörte, dann wusste er gerade noch, dass der Name irgendwann einmal im Unterricht vorgekommen war.
Es ärgerte ihn manchmal, dass die "Lernerei" in diesen Gegenständen so wenig dauerhaft war, aber schließlich hatte es bei den Prüfungen immer noch irgendwie geklappt und das war wohl das Wichtigste, oder?
*) Übersetzt heißt dieser
lateinische Titel der Lerntipps "Nicht für das Leben sondern
für die Schule lernen wir!"
Dieser Ausspruch von Lucius Annaeus Seneca dem
Jüngeren (Epistulae morales ad Lucilium 106, 12), der Erzieher
und Berater des römischen Kaiser Nero war, wird meist aber
umgekehrt und daher falsch zitiert. Er widersprach damit der
Auffassung von Aristoteles, der in seiner Politik VIII, 3, 2 für
die Pädagogik gefordert hatte: "Immer nur nach dem
Nützlichen zu fragen, ziemt sich gar nicht für
großzügige und freie Menschen".