Lerntipps

Der Kampf der "Gedankensplitter"

gedächtnishemmung Mit "Bauchweh" machte sich Martin auf den Weg zur Schule, denn es stand heute die erste Grammatikprüfung in Englisch bevor. Mit Schaudern erinnerte er sich an den gestrigen Nachmittag, als er sich auf diese Prüfung vorzubereiten versucht hatte. Immer wieder hatte er die Wortlisten und -gruppen wiederholt und sich auch von seinem älteren Bruder prüfen lassen, doch stets hatte er das Gefühl, dass er mit Fortdauer des Übens und Wiederholens eher verwirrter wurde, als dass er Klarheit in seine Gedanken bekommen hätte.

Blenden wir zurück: Die Lehrerin hatte schon in den ersten Wochen des Englischunterrichts gemerkt, dass einige ihrer SchülerInnen große Probleme mit ähnlich klingenden und geschriebenen Vokabeln hatten, und war so auf die Idee gekommen, diese den SchülerInnen in einem Arbeitsblatt zusammenfassend einander gegenüber zu stellen. Darunter fanden sich z.B. die englischen Fragewörter, von denen einige in ihrer Bedeutung auf Grund der Schreibweise für Deutschsprechende eher verwirrend sind, wie "who?" = "wer?" - "where" = "wo?" - "how?" = "wie?" - "why?" = "warum?", oder vom Wort- bzw. Klangbild her leicht zu verwechseln sind, z.B. Wörter wie "diese" = "they", "dort" = "there", "their" = "ihre", "ihre" = "her", "this" = "diese/s", "these" = "diese", "seine" = "his", "he is" = "er ist".

Die Lehrerin hatte zwar richtig erkannt, wie schwer es für einen Sprachanfänger zunächst ist, solche Ähnlichkeiten und Gleichklänge auseinander zu halten. Doch bei ihrem an und für sich lobenswerten Versuch, den SchülerInnen zu helfen, hatte sie nicht bedacht, dass sie durch die Häufung dieser Wörter auf einem Arbeitsblatt es ihren sprachlich noch unsicheren SchülerInnen schwieriger machte. Zwar kann es für einen in Englisch Erfahrenen eine Hilfe sein, durch eine Zusammenstellung einen besseren Überblick über diese fremdsprachlichen Eigenheiten zu erhalten, doch für einen Anfänger gleicht eine solche Häufung von "Fallen" einem »Labyrinth, in dem er sich beinahe zwangsläufig verlaufen muss.

Warum ist das eine verkehrte Methode?

Vor über 100 Jahren hat der ungarische »Psychiater Paul Ranschburg das "Gesetz der Ähnlichkeitshemmung" entdeckt: Zu ähnliche Inhalte vermischen bzw. überlagern sich beim Lernen und Wiedergeben, wodurch Störungen entstehen, die den Lernvorgang und das spätere Erinnern hemmen. Er empfahl, dass solche Inhalte getrennt und mit zeitlichem Abstand vermittelt und gelernt werden sollten. Wenn ähnliche Inhalte zur selben Zeit wahrgenommen, also z. B. gehört oder gelesen werden, oder auch bei einer Prüfung wiedergegeben werden müssen, dann führt das zu einer Art wechselseitiger Blockade der Gedanken, da diese im Gehirn beinahe gleichzeitig oder kurz hintereinander dieselben "Gedankensplitter" in Anspruch nehmen.

Ein typisches Beispiel für solche Verwechslungs- und Blockadeprobleme sind Menschen, die sich noch im Erwachsenenalter schwer tun, rechts und links rasch auseinander zu halten. Bei diesen hatten Eltern oder LehrerInnen in der frühen Kindheit versucht, die Unterscheidung der beiden Richtungen gleichzeitig und manchmal noch mit "verkehrten" Lernhilfen wie "Rechts ist dort, wo der Daumen links ist!" beizubringen. Das führte aber nur dazu, dass keine der beiden "Richtungen" sicher gelernt wurde, sondern sich von Anfang an bloß der Zweifel verfestigt hatte, was denn nun in einer konkreten Situation die "richtige" Seite wäre.

Auf dem Arbeitsblatt der Englischlehrerin waren nun einander ähnliche "Gedankensplitter" in räumliche und beim häuslichen Lernen auch zeitliche Nähe gerückt worden, wie sie im alltäglichen Gebrauch nicht vorkommen. Wenn ein Schüler nun beim Lernen oder bei der Prüfung gegen diese Blockaden ankämpfen muss, dann führt das schließlich dazu, dass er immer unsicherer wird, ob er nun den richtigen "Gedankensplitter" verwendet oder nicht. Möglicherweise steht der gar nicht zur Verfügung, da er vom vorigen Gebrauch noch besetzt oder blockiert ist.

verwechslung Manchmal lässt sich eine Verwechslung kaum vermeiden, wie beim Beispiel "who" - "wo" und "where" - "wer", die man im Englischen mit dem trefflichen Ausdruck "false friends" bezeichnet. Die beste Möglichkeit ist es natürlich, die einander ähnlichen Inhalte beim Erlernen zeitlich möglichst weit auseinander zu halten. Ein Inhalt (z.B. das Fragewort "where?") sollte zunächst so sicher erlernt und im Gedächtnis abgelegt werden, dass er später beim Erlernen des "Verwechslungszwillings" gar nicht mehr beeinflusst werden kann.

Auch sollten solche verwechslungsgefährdeten Begriffe immer in sinnhaften Zusammenhängen gelernt werden, also etwa in ganzen Sätzen oder Wortfügungen, in denen die Bedeutung eindeutig zu Tage tritt.

Eine weitere Möglichkeit ist, solche Wörter durch eine bildliche Eselsbrücke eindeutig zu verankern, also etwa indem man aus dem "O" des Frageworts "who?" eine Gesicht macht, um den Bezug zur Frage nach einer Person klar hervortreten zu lassen, und aus dem W des "where?" einen Gartenzaun, um deutlich zu machen, dass die Frage einem Ort gilt (siehe dazu den alten Lerntipp "Zauberbilder").

Leider sind viele Lehr- und Schulbücher - meist im Zusammenhang mit Grammatik - voll von Verstößen gegen das Gesetz der Ähnlichkeitshemmung. Manche der bekannten Verwechslungen und Fehler entstehen erst dadurch, dass man in bester Absicht Dinge, die man vielleicht verwechseln könnte, direkt nebeneinander stellt und so erst die Verwechslungen verursacht, die man eigentlich vermeiden möchte.


Wir haben auf einer Internetseite eine umfangreiche Liste von Wörtern gefunden, die häufig verwechselt werden, aber auch eine Liste jener Wörter, die in beiden Sprachen gleich lauten oder sehr ähnlich sind: False Friend und True Friends.





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