Sebastian kam von der Schule nach Hause und pfefferte seine Schultasche in die Ecke. Er hatte nach einer längeren Erkrankung, wegen der er fast zwei Wochen zu Hause bleiben musste und den Unterricht versäumt hatte, von seiner Lehrerin eine lange Liste mit Aufgaben bekommen, um den versäumten Unterricht nachzuholen.
Er zeigte den Zettel seiner Mutter und diese schüttelte den Kopf: "Bis wann sollst du das alles nachgeholt haben?"
"Bis gestern, hat die Lehrerin gesagt!" erwiderte er mutlos.
Als Sebastian dann in seinem Zimmer saß und die Liste studierte, wurde er ganz verzagt. "Das schaffe ich nie!" seufzte er und holte das Mathematikbuch hervor. Vier Kapitel hatten seine Kameraden in der Schule in seiner Abwesenheit durchgenommen. Und das bei seiner Schwäche in diesem Gegenstand.
Und erst das Deutschpensum! Ein ganzes Drama von Schiller sollte er lesen und interpretieren, denn das wird der Stoff der nächsten Schularbeit und die war schon in der kommenden Woche.
Von den vielen Seiten aus dem Englischlehrbuch gar nicht zu reden!
Sebastian war zwar ein fleißiger Schüler, der alle seine Aufgaben gewissenhaft erfüllte, aber was zuviel ist, ist zuviel! Mehr um das Gefühl loszuwerden, gar nichts zu tun, nahm er den Schiller vor und begann zu lesen. Dennoch hatte er das Gefühl, dass nichts weiter ging, sondern der Berg von Stoff, der vor ihm lag, nur noch größer wurde.
Am Abend erzählte er seinem Vater von der langen Liste.
"Na, dann zeig mir einmal, was du alles zu tun hast."
Sebastian schleppte aus seinem Zimmer den Stapel Bücher und die Liste herbei.
"O.k., ist das alles?" fragte der Vater.
Sebastian nickte.
"Dann legen wir einmal alle Aufgaben nebeneinander auf!"
Als das geschehen war, fragte der Vater: "Was ist denn am dringendsten?"
"Alles!"
"Wann hast du die Deutschschularbeit zu den ‚Räubern’?"
"Am nächsten Dienstag! Also in drei Tagen!"
"Wann hast du die Geschichtsprüfung?"
"In zwei Wochen."
"Wie viele Kapitel sind aus Mathematik nachzuholen?"
"Vier Kapitel."
"Gut," nickte der Vater, "die verteilen wir auf die kommende Woche nach der Schularbeit!"
Der Reihe nach gingen die beiden die verschiedenen zu erledigenden Aufgaben durch und legten die Bücher und Hefte mehrmals um. Schließlich lagen alle in jener Reihenfolge, in der sie zu bewältigen waren. Dann nahm der Vater einige gelbe Klebezettel (?) und versah sie mit Nummern, die er auf und in die einzelnen Lernmaterialien klebte.
Ganz am Beginn und mit der Nummer 1 versehen lag das unscheinbare Reclam-Heftchen mit Schillers Drama.
"Na, dann fang doch einmal heute mit dem Lesen des Dramas an!" meinte der Vater.
"Aber das ist doch soooooo lang! Es hat fünf Akte!"
"Dann lies dir heute wenigstens einmal den Anfang durch einen Akt kannst du doch heute noch schaffen, oder? Und ich schau in meinem alten Theaterführer nach, ob da eine brauchbare Inhaltsangabe drinnen steht. Die kannst du vorher lesen, damit du ungefähr weißt, was in dem Stück passiert und was wichtig ist."
An diesem langen Abend Sebastian ging erst eine Stunde später als üblich schlafen hatte er neben der Inhaltsangabe, die ihm sein Vater als Kopie brachte, schon die beiden ersten Akte durchgelesen. Und er selber hatte im Internet auf einer Universitätsseite eine knappe Interpretation der Persönlichkeiten der Hauptpersonen gefunden, die es ihm erleichterte, die Handlung besser zu verstehen, da durch die knappe Sprache der Dialoge ihre Bedeutung nicht immer ganz klar war.
"Das ist ja fast wie in einem Kriminalroman", dachte er beim Einschlafen.
Wenn manche glauben, dass man mit einer solchen systematischen Lernplanung doch wieder einen Teil der ohnehin knappen Zeit verliert, dann ist das ein grundlegender Irrtum. Manager in der Wirtschaft verwenden oft bis zu einem Zehntel ihrer Zeit dafür, zu erledigende Aufgaben zu ordnen und in Teilaufgaben zu zerlegen.
Im Prinzip ist das Organisieren und Planen der Arbeiten für die Schule eine vergleichbare Management-Aufgabe, auch wenn es hier nicht darum geht, die meisten Aufgaben anderen Personen zuzuteilen, sondern hier der Leiter des Unternehmens Schule zugleich der einzige Angestellte ist eine Ich-AG sozusagen ;-)
Aus psychologischer Sicht hilft eine solche Planung, aus einer scheinbar nicht überschaubaren Stoffmenge eine überschaubare zu machen. Das ist deshalb so wichtig, da das Unbekannte stets als bedrohlicher erlebt wird als das Bekannte.
Durch das Auflegen und Ordnen entsteht jedoch nicht nur die Überschaubarkeit des tatsächlichen Umfangs der Arbeiten, sondern auch eine Reihenfolge, die zumindest das Gefühl verleiht, mit dem Dringendsten/am richtigen Ende anzufangen.
Ein weiteres Hilfsmittel vor allem bei sehr umfangreichen Aufgaben - ist das Zerlegen in Teilaufgaben, so wie es Sebastian beim Stoff für die Mathematikschularbeit getan hatte. Kleinere Aufgaben kann man in kürzerer Zeit erledigen und jedes Häkchen auf der "To-do-Liste" (so bezeichnen Manager oft die Listen der an einem Tag oder einer Woche zu erledigenden Aufgaben) verleiht einem das gute Gefühl, wieder etwas geschafft zu haben.
*) Mit Management bezeichnet man die Leitung und Führung eines Unternehmens. Das Wort kommt wie viele Ausdrücke aus der Wirtschaft über das Englische in den deutschen Wortschatz, abgeleitet aus dem Lateinischen "manum agere", was soviel bedeutet wie "an der Hand führen".