"Wie heißt die Hauptstadt von Rumänien?" fragte die Geografielehrerin ein wenig ungeduldig, denn Claudia hatte zuvor recht lange gebraucht, bis ihr endlich die Hauptstadt von Belgien eingefallen war.
"Von Rumänien?" wiederholte sie fragend.
"Ja!" drängte die Lehrerin, "Rumänien!"
"Die Hauptstadt von Rumänien ist "
"Bu-ka-rest!" flüsterte ihr Benjamin, dem Claudia einen verzweifelten Blick zugeworfen hatte, schon zum zweiten Mal zu.
"Budapest!" stieß Claudia endlich heraus.
"Leider falsch!" sagte die Lehrerin und schaute Benjamin streng an. "Du solltest halt weniger Boyzone hören und mehr in den Atlas schauen!"
"Aber ich habe doch gestern zuhause alle Hauptstädte von Europa gekonnt!" beteuerte sie.
"Das glaube ich dir schon! Aber ich kann nur das bewerten, was du hier bei der Prüfung kannst," sagte die Lehrerin, und es klang schon ein wenig versöhnlicher. "Du kannst dich ja nächstes Mal bei einer Wiederholung melden und dir die Note ausbessern!"
Welche Schülerin oder welcher Schüler kennt das nicht: Stundenlang gebüffelt bis endlich alles im Gehirn drinnen war und dann bei der Prüfung ein totales »Blackout!
Ein möglicher Grund für das Versagen von Claudia bei der Prüfung kann sein, dass das menschliche Gedächtnis beim Lernen oft »assoziativ arbeitet. Assoziativ bedeutet, dass verschiedene Gedanken und Vorstellungen in unserem Gehirn miteinander verknüpft werden und dass dann, wenn ein Teil einer solchen Verknüpfung auftritt, der andere Teil »automatisch ebenfalls in unsere Gedanken "schießt", ohne dass wir etwas dazu tun müssen.
Wenn Claudia zuhause in ihrem Zimmer etwas lernt, dann wird nicht nur das für den Lerngegenstand Wichtige im Gehirn eingespeichert, sondern auch alles, was sich gerade zufällig in ihrer Umgebung befindet. Das können z.B. Gegenstände auf dem Tisch sein oder die Plakate, die an der Wand hängen. Wichtig können auch Gerüche sein, die gerade aus der Küche kommen, oder Geräusche, die wir gerade wahrnehmen. Es kann aber auch die Reihenfolge von Dingen sein, die wir wie die Glieder einer Kette miteinander verknüpfen.
Das assoziative Lernen ist besonders dann wirksam, wenn wir eher automatisch und ohne viel Verständnis für eine Sache lernen - also z. B. eine Liste aller Hauptstädte Europas, alle Familien von Insekten oder gar die Namen der Präsidenten eines Landes. Besonders typisch und auch oft problematisch ist das beim Lernen von »Vokabeln nach einem Vokabelheft, denn dann fällt einem bei der Prüfung ein, wie das Wort vorher oder nachher auf der Seite hieß, aber nicht, wie die Übersetzung lautet. Meist können wir uns noch genau daran erinnern, dass das links unten auf der Seite stand, aber wie dann die Übersetzung lautet
An und für sich ist dieses verknüpfende Lernen auch etwas sehr sinnvolles, denn es gibt viele Dinge im Leben, die wir auf diese Art lernen müssen und die nicht unbedingt logisch miteinander zusammenhängen. Aber wie im Fall von Claudia kann sich das eben auch negativ auswirken.
Wenn sie zum Beispiel gerade die Hauptstadt von Rumänien lernt und ihr Blick dabei auf ihren Teddybären fällt, dann wird sich die Antwort "Bukarest" mit dem Anblick des Bären verknüpfen. Jedes Mal wenn sie dann in ihrem Zimmer die Hauptstadt von Rumänien aus dem Gedächtnis hervorkramt, dann wird ihr Blick auf das Tier fallen und es wird ihr sofort die richtige Antwort "Bukarest" einfallen. In der Klasse nun sitzt ihr aber kein Teddybär gegenüber sondern die Geografielehrerin. Und da diese vermutlich wenig Ähnlichkeit mit dem Stofftier hat, wird ihr Blick in der Klasse herumschweifen und wenn sie Glück hat auf einem Mitschüler hängen bleiben, der mit seinen Lippen das Wort "Bu-ka-rest" formt
Eines ist, jeden Lernstoff in möglichst verschiedenen Umgebungen zu lernen und zu wiederholen.
Eine andere Möglichkeit ist, so viel wie nur irgend möglich von der Lernumgebung in die Prüfung hinüber zu retten. Man kann sich also bei der Vorbereitung auf eine Prüfung so anziehen, wie man auch in die Prüfung gehen wird - das gleiche Hemd, die gleiche Hose, der gleiche Rock, die gleiche Bluse. Manchmal kann auch ein Glücksbringer helfen, den man beim Lernen und bei der Prüfung bei sich hat.
Oft hilft es auch schon beim Lernen wie vor der Klasse zu stehen und sich mit geschlossenen Augen die Lehrerin in der Klasse vorzustellen.
Eine besonders gute Methode ist das Finden von Bildern, die von der Lern- und Prüfungssituation unabhängig sind, aber das ist schon wieder ein anderer Lerntipp
Wissenschaftliche Erklärung: Beim Lernen wird also immer auch die Lernumgebung in irgendeiner Form mitgelernt. Fehlen uns dann bei der späteren Erinnerung viele dieser Merkmale der ursprünglichen Lernumgebung, dann wird das Erinnern mühsam und schwierig und oft gelingt es uns überhaupt nicht mehr.
Psychologen haben zu diesem Lerntipp ein lustiges Lernexperiment mit Tauchern gemacht, die unter Wasser einen bestimmten Lernstoff lernen mussten. Bei einer Prüfung dieses Stoffes über Wasser konnten sie ihn kaum mehr abrufen, wurden sie aber dann unter Wasser geprüft, fiel ihnen fast alles wieder ein.
Extratipp: Diesen Lerntipp gibt es auch in englischer Sprache: What is the capital of …