Sebastians Lieblingsgegenstand war Physik und er hatte sich sofort dafür interessiert, als in der Schule vom Physiklehrer Einladungen für einen Vortrag an der Volkshochschule verteilt worden waren. Ein berühmter Wissenschaftler einer Universität in der Hauptstadt sollte einen Vortrag zum Thema „Warum ist der Himmel blau?“ halten.
Da an jenem Abend nichts Besonderes im Fernsehen lief, hatte er seiner Mutter davon erzählt und sie gebeten, ihn dorthin zu bringen und wieder abzuholen. Die war über das Interesse des Sohnes erfreut und stimmte sofort zu, obwohl Sebastian dadurch wesentlich später ins Bett kommen würde. „Ausnahmsweise,“ sagte sie, „vielleicht kannst du ja etwas für die Schule brauchen!“
Es war fast elf Uhr, als Sebastian mit seiner Mutter vom Vortrag nach Hause kam, sodass er gleich ins Bett fiel, um noch ausreichend Schlaf für den nächsten Schultag zu bekommen.
„Wie war der Vortrag gestern Abend?“ fragte Sebastians Vater am nächsten Morgen beim Frühstück.
„Ging so“, antwortete Sebastian.
„Und wovon hat er gehandelt?“
„Von der Geschichte der Optik.“
„War er interessant?“
„Ging so“, blieb Sebastian wortkarg.
„Willst du mir heute nach dem Abendessen nicht ein wenig davon erzählen? Meine Schulzeit liegt so lange zurück und ich würde gerne schauen, was ich noch so alles weiß!“
„Na gut! Nach dem Abendessen.“
Sebastian und sein Vater setzten sich nach dem Abendessen mit dem Nachtisch auf der Couch im Wohnzimmer zusammen.
„Und warum ist der Himmel blau?“ fragte sein Vater erwartungsvoll.
„Weil das Licht gestreut wird … von der Luft. In Wirklichkeit aber ist das Licht nicht blau, sondern enthält alle Farben“, erinnerte sich Sebastian an das, was er vor langer Zeit schon im Physikunterricht gelernt hatte. „Der Professor hat auch erklärt, dass man das am Besten bei einem Regenbogen sehen kann, weil der das Licht aufspaltet … Am blausten ist der Himmel in einer südamerikanischen Stadt, Rio, Rio …“
„Rio de Janeiro“, ergänzte sein Vater.
„Richtig! Und dass der Himmel bei uns manchmal sehr hell ist, hat mit der Luftverschmutzung zu tun. Genaugenommen ist der Himmel schwarz, hat der Professor gesagt!“
Sein Vater hörte ihm aufmerksam zu, merkte aber, dass sein Sohn nicht alles verstanden und in der Zwischenzeit auch schon wieder Vieles vergessen hatte. Vor allem der Zusammenhang zwischen dem Winkel der Lichteinstrahlung und der Farbe des Lichtes war Sebastian in diesem Vortrag unverständlich geblieben.
Schließlich setzten sich die beiden an Sebastians Computer und suchten im Internet nach den genauen Erklärungen und Zusammenhängen. Die beiden waren dabei so vertieft, dass sie sogar die Frage der Mutter überhörten, ob sie beim Nachtisch noch einen Nachschlag haben möchten. Sebastian druckte sich einige Internetseiten aus, um sie genauer zu studieren.
„Jetzt wird mir Einiges erst klar, was ich gestern gehört habe“, sagte Sebastian, als sie den Computer nach über einer Stunde abschalteten.
„Wenn ich auf ein Seminar fahre oder zu einem Vortrag gehe, dann beschäftige ich mich schon vorher sehr intensiv damit, was ich dort zu hören bekomme“, riet ihm sein Vater. „Vieles ist mir dann schon bekannt und ich komme nicht nur leichter mit, sondern kann mich auch besser konzentrieren, weil ich mich mit dem Verstehen von Neuem nicht so sehr anstrengen muss.“
Das hängt damit zusammen, dass unser Gehirn alles, was wir wissen, in Form eines großen Netzes anlegt, das an manchen Stellen dichter und an manchen weniger dicht geknüpft ist. Wenn man zum Beispiel bei einem Vortrag über ein Thema, von dem man noch sehr wenig weiß, neue Informationen erhält, dann gehen die meisten zwar in den Kopf hinein, bleiben aber nirgends hängen, während bei einem Thema, wo man schon sehr viel weiß, vieles hängen bleibt. Das menschliche Gehirn arbeitet also in gewissem Sinne paradox: da, wo schon viel vorhanden ist, kann noch vieles dazukommen, da, wo noch wenig vorhanden ist und noch viel Platz wäre, geht eher wenig hinein.
Daher ist es eine sehr gute Idee, sich auf einen Vortrag vorzubereiten, indem man sich in Büchern oder im Internet schon vorinformiert. Wenn man dabei zumindest ein grobmaschiges Netz an Vorwissen aufbaut, dann wird während des Vortrages mehr hängen bleiben. Ein solches Netz an Vorkenntnissen bietet Ankerpunkte für die neuen Informationen, aber auch viele Details kann man durch eine solche Vorbereitung erst überhaupt wahrnehmen. Wenn man bei der Vorbereitung auf Unklarheiten stößt, dann kann man sich schon Fragen an die Vortragenden überlegen.
Eine solche Vorbereitung auf einen Vortrag ist ähnlich der Planung einer Reise, denn wenn man bei ihr mehr vom einem Land, seiner Geschichte und seinen Menschen erfahren will, studiert man zur Vorbereitung auch Prospekte, Bücher oder Reiseführer.